Opa fehlt. Wie der Verlust eines Familienmitglieds sich auf den Alltag auswirkt.
Life,  Gedankenwelt

Hach Opa, du fehlst! // Über Trauer, Verlust und eine Lücke

Heute ist es wieder so weit. Heute vor 5 Jahren erhielt ich morgens gegen 11 einen Anruf meiner Mama. Opa hat es geschafft. Er ist friedlich mit einem Lächeln im Gesicht eingeschlafen. War dadurch nach vielen Jahren wieder mit meiner Oma vereint. Für ihn war es gut, dass er gehen durfte. Für mich brach ein großes Stück Halt und Zuversicht weg. Ein Großteil meiner Kindheitserinnerungen waren plötzlich nicht mehr greifbar, sondern damit wirklich Erinnerung.

Damals saß ich im Anschluss weinend auf der Treppe und stammelte immer wieder einfach nur „Nein! Das kann nicht sein. Nein. Das ist nicht wahr!“ und streichelte dabei abwesend meinen Bauch, in dem der vierte Urenkel für meinen Opa heranwuchs. Auf den er sich so sehr gefreut hatte.

Wenig später holten mich meine Eltern ab. Es ging zum Bestatter. Ich durfte mit bestimmen, welchen Sarg mein Opa bekam, wie die Traueranzeige aussehen sollte und wann er beerdigt werden würde. Tränen hatte ich da nicht mehr. Es musste halt erledigt werden. Und ich musste funktionieren. Für meine Kinder. Für das Leben, das in mir wuchs. Und für meine Mama, die nun kein Elternteil mehr hatte.

Auch meine Kinder trauerten. Sie erzählten, dass Opa jetzt „da oben auf der Wolke“ sitzt und als Engel auf sie aufpasst. Sie waren traurig, dass es nun keine Pfannkuchen mehr nach Opa gab, sondern sie Mamas Kreationen essen sollten. Dass Opa nun nicht mehr mit ihnen puzzlen oder (mit 86 Jahren !) Schiffschaukel fahren konnte. Auch, dass er den Frosch nicht mehr kennen lernen und die Einschulung der Großen verpassen würde.

Die Beerdigung brachten wir gut hinter uns. Mit einigen Anekdoten über diesen Mann, der nicht nur ein Sturkopf, sondern ein Schlitzohr, der beste Opa der Welt und der Mensch mit dem größten Herzen war. Wir lachten, wir weinten und wir erinnerten uns an seine Geschichten aus dem Krieg (und wie er von der Front floh). An seine Geschichten, wie er Oma kennengelernt und sie von sich überzeugt hat. Wie er einen Laib Brot an die Wade geschnürt aus der Bäckerei schmuggelte, damit er zu essen hatte. Und daran, wie er meine Kindheit und die der Kinder mitgeprägt hat.

Heute, ja heute ist er 5 Jahre nicht mehr da. Meine letzten beiden Kinder konnten ihren Uropa nicht kennen lernen. Und es schmerzt sehr. Vor allem, da der Frosch ihm wie aus dem Gesicht geschnitten aussieht. Er sieht nicht nur aus wie sein Uropa, er hat auch einige sehr ähnliche Wesenszüge. Und an Tagen wie heute fehlt er. Sehr.

Je größer die Kinder werden, desto mehr wird mir außerdem bewusst, was meine Kindheit ausgemacht hat. Was meine Kindheit zu einer besonderen magischen Zeit werden ließ, während meine Kinder einiges so nicht mehr (kennen) lernen werden. Opa fehlt einfach.

Was mir fehlt?

Es sind die banalen Dinge. Der Erdbeerkuchen auf gekauftem Biskuitboden jeden Sonntag zum Beispiel. Und die Sprühsahne, die er immer dazu mitbrachte. Die Werthers Echte oder Nimm2, die er aus der Brusttasche seines Hemdes zauberte, wenn jemand hustete. Herbstliche Vormittage im Wald mit Körben voll mit Pilzen. Die Stofftaschentücher, die er immer ungefragt über die Nase zog, wenn jemand schniefte. Und die so herrlich nach Opas Waschmittel rochen. Ja, auch seine Pfannkuchen.

Oder später, als ich jugendlich war, wusste ich, wenn ich abgeholt werden möchte, rufe ich Opa an. Opa holte mich nach einer durchzechten Nacht bei meinen Freunden, machte mir Frühstück und fuhr mit mir anschließend zum Sonntagsessen zu meinen Eltern.

Meine Kinder wachsen anders auf. Mit präsenteren Eltern und weniger Großeltern im klassischen Sinne. Für sie gibt es keine Übernachtungen im Bett der Großeltern, keinen Erdbeerkuchen jeden Sonntag – solange Erdbeersaison ist. Für sie gibt es keinen Sonntag auf Omas und Opas Couch mit aufgeschnittenem Obst, gewürfeltem Nutellabrot und Kalimero. Oder auch so banale Dinge, wie den Einkauf mit den Großeltern und anschließendem Spielplatzbesuch gibt es nicht.

Wir versuchen, das so gut wie möglich aufzufangen.

Die Rolle der Großeltern mit zu erfüllen. Der Großeltern, wie wir beide – Manuel und ich – sie erlebt haben. Es gibt oft frischen Kuchen mit Kakao, um Gemütlichkeit zu schaffen. Wir planen Ausflüge in den Wald, geben sämtliches Wissen, das wir haben, kindgerecht weiter und versuchen, ihnen so gut es geht etwas Nachhaltigkeit mit auf den Weg zu geben.

Oft schauen wir uns gemeinsam ein Fotoalbum an, das ich meinem Opa als Jugendliche geschenkt habe, und ich erzähle die Geschichten weiter, die er mir erzählt hat. Vom frühen Tod seiner Mama und seiner Kindheit als uneheliches Kind bei seiner Tante. Ich erzähle von seiner Bäckerlehre bei seinem Vater und wie er sich durch den Krieg gemogelt hat, ohne auch nur einmal kämpfen zu müssen. Dass er in seiner kindlichen Naivität erst Panzerfahrer werden wollte und es im Nachhinein zum Glück nicht durfte, weil er farbenblind war. Und wie er Gewalt und Hass verabscheute.

Und dann kommen Bilder zum Einsatz, da gab es meine großen drei Kinder schon. Da saß ein 80jähriger jung gebliebener Mann auf einer Hollywoodschaukel und hielt ein kleines pausbäckiges Mädchen im Arm. Da krabbelte ein alter Mensch, der eigentlich Knieschmerzen hatte, mit drei Kindern über den Boden und spielte Pferdchen. Und da saß ein Opa mit kreisrunder Glatze auf einem Ikea-Mammutstuhl und füllte in Engelsgeduld wieder und wieder ein Rahmenpuzzle, während er immer wieder heimlich ein Bonbon an die Kinder ausgab und mir schelmisch zuzwinkerte.

Meist kann ich bei diesen Erinnerungen lächeln. Ich bin dankbar dafür, sie zu haben. An Tagen wie heute allerdings, da laufen mir die Tränen über die Wangen und Opa fehlt. Sein Wissen und Erfahrungsschatz fehlt. Seine unerschütterliche positive Art und die Liebe zu seinen Urenkeln, für die er so lange durchgehalten und ausgehalten hat.

Ich kann meinen Kindern die (Ur-) Großeltern nicht ersetzen. Ich kann ihnen nicht im Ansatz das vermitteln, was mein Opa mir beigebracht und mit mir erlebt hat. Aber ich kann es versuchen.

Heute, ja heute gibt es Erdbeerkuchen. Auf Opa!

 

Wenn ein Familienmitglied stirbt, ist der Verlust groß. Hier fehlt der (Ur) Opa seit 5 Jahren. Deswegen erzähle ich, wie wir mit Trauer und Verlust umgehen.

 

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17 Kommentare

  • Frau Katze

    Ein wunderschöner Text, liebe Juli! <3
    Ich kann nur erahnen, welchen Verlust das für dich/euch bedeutet.
    Die schönen Erinnerungen kann dir niemand nehmen! <3

  • Anne

    Meine Oma ist seit kurzem gestorbern und mein Hauptgedanke ist auch, wie schade es ist, dass meine Kinder sie nie kennenlenren werden. Wir müssen jetzt die Bestattung planen und uns vor ihr verabschieden. Ich bin mir sicher, dass man mit der Zeit die Sachen anders betrachten wird.

  • Melanie Samsel

    Danke für den Artikel! Es berührt mich sehr, deine Erfahrungen zu lesen. Gerade die Momente bei dem Bestatter klingen allerdings schwierig, besonders weil man diese wie beschrieben ja nicht vermeiden kann. Ich denke, es hilf dabei, einen erfahren Bestatter zu haben.

  • Christine

    Ich habe vor dem Tod meines Opas Angst. Dass du den Sarg mitbestimmen durftest, ist zwar toll. Ich hoffe aber, dass ich das nicht so bald machen muss.

  • Lena_Mausi

    Liebe Julie, auch wenn es schwer ist, danke dass du über diese Erfahrung berichtest. Riesen Respekt meinerseits. Eine gute Freundin von mir hat vor kurzem auch ihren Opa verloren. Zur ganzen Trauer muss nun auch die Beerdigung geplant werden. Viel Glück dir weiterhin.

  • Lina

    Kinder bekommen ienfach viel mehr Dinge mit als wir dneken. Das finde ich einfach faszinierend. Habt ihr die Kinder bei der Planung der Trauerfeier mitreden lassen?

  • Dennis Becker

    Mein Onkel ist derzeit auf der Suche nach einem Beerdigungsinstitut. Dabei ist es gut zu wissen, dass mit dem Gehen einer Person oftmals auch ein Stück Zuversicht wegbricht. Ich hoffe, dass er einen passenden Anbieter finden wird.

  • Felix

    Ich finde es schön, dass du beim Sarg mitbestimmen durftest. Bei mir war das leider nicht möglich. Mein Opa hatte eine Urnenbestattung.

  • Elsa Horneke

    Ein sehr schöner und emotionaler Beitrag. Danke für das Teilen! Als ich meinen Opa verloren habe, hat mir das Bestattungsinstitut einige Ratschläge gegeben, wie ich am besten mit der Trauer umgehe. Es ist wichtig, die Trauer zuzulassen und zu fühlen! Ich wünsche euch das Beste!

  • Clara Grün

    Vielen Dank für deinen bewegenden Bericht. Ich habe auch gerade meine Oma verloren und suche gerade einen Bestatter für die Beerdigung. Alles, was du beschreibst, kann ich so nachvollziehen. Meine Großeltern haben mich auch stark geprägt und es war sehr besonders mit ihnen Erdbeerkuchen zu essen und die Stofftaschentücher sind mir auch allzu bekannt. Danke für den schönen Beitrag.

  • Leonie Schubert

    Vielen Dank für diesen Beitrag. Die Oma meiner Kinder, also meine Mutter, ist vor einiger Zeit gestorben und die Bestattung war für uns als Familie nicht einfach. Wir hoffen, dass die positiven Erinnerungen zurück bleiben.

  • Lisa

    Ich finde es toll, wenn auf einer Trauerfeier noch so persönlich von der Person gesprochen werden. Beerdigungen sind auf der einen Seite traurig, auf der anderen Seite aber auch eine Chance um Abschied zu nehmen. Man erinnert sich an die Person und auch einen schöne Momente.

  • Noah

    Liebe Julie, danke für diesen tollen Beitrag. Ich finde es bemerkenswert, dass du das mit uns teilst. Auch mein Opa ist letztens verstorben und er war auch ein toller Mann, der sich mit jedemverstanden hat. Viel Glück.

  • Moritz

    Liebe Julie, dieser Beitrag ist einfach nicht in Worte zu beschreiben. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich keine Träne verloren habe. Als mein Uropa verstarb, konnte ich es einfach nicht glauben. Erst als dann das Bestattungsunternehmen kontaktiert wurde, war es mir klar.

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